Die weltweite Entwicklung der Sars-CoV-2-Infektion zeigt, dass es sehr schwierig ist, die Ausbreitung dieser Viren unter Kontrolle zu halten. Eine Lösung hierfür wären entsprechende Medikamente oder eine Impfung. Davon sind wir aber zum jetzigen Zeitpunkt noch einen großen Schritt entfernt und wir sollten uns Gedanken machen, wie wir die nächsten Monate ein einigermaßen normales Leben führen können. Insbesondere für unsere Kinder brauchen wir Lösungen, damit diese KiTas und Schulen besuchen können.
An entsprechende Hygiene mit häufigem Händewaschen und an das Tragen von Mund-Nasen Bedeckungen haben wir uns mittlerweile gewöhnt. Diese Masken sind ein Hilfsmittel, um die direkte Infektionsgefahr beim Atmen, Reden, Singen, Husten und Niesen zu verringern. Ebenso trägt Abstandhalten nachweislich dazu bei, dieses Risiko zu minimieren. Allerdings halten wir uns in dieser Jahreszeit wieder mehr in Gebäuden auf und hier helfen uns die beiden beschriebenen Maßnahmen nicht weiter, da sich die Raumluft sehr schnell mit infektiösen Aerosolpartikeln anreichert, wenn sich eine infizierte Person in diesem Gebäude aufhält. Eine Lösung wären hier die sogenannten FFP-2 Masken zu tragen, reine (meist selbergenähte) Mund-Nasen-Bedeckungen reichen hier nicht aus. Auch wird das Atmen unter diesen Masken erschwert und man sollte diese maximal 3 x 75 Minuten am Tag mit einer minimalen Pause von 30 Minuten zwischen den Intervallen tragen.
Da dies für einen Schulunterricht keine Lösung sein kann, müssen wir durch lüftungstechnische Maßnahmen das Infektionsrisiko minimieren, ausschließen können wir es nicht. Bislang wurde versucht, durch regelmäßige Fensterlüftung den notwenigen Luftwechsel zu erreichen. Der Erfolg dieser Maßnahmen lässt sich nicht belegen, da wir über die Sommermonate insgesamt recht niedrige Fallzahlen hatten. Auch die Aussage, dass die Ansteckungsgefahr in Schulen sehr gering ist, lässt sich weder belegen noch scheint Sie glaubhaft und logisch. In vielen Klassenzimmern sind keine Querlüftungen möglich, da Fenster oft nicht zum Öffnen sind und die wenigsten Zimmer über zwei Außenwände verfügen. So wird eine Lüftung meist über das Öffnen einer Türe (zum Flur) und einem Fenster nach Draußen erreicht. Hier besteht natürlich die Gefahr, sich mit infektiösen Aerosolen angereicherte Luft über den Flur ins Klassenzimmer zu holen und zudem hängt der Erfolg der Fensterlüftung von sehr vielen Faktoren wie Fenstergröße, Lage der Fenster, Temperaturunterschiede zwischen Innen und Außen oder den Windverhältnissen ab. Mit gekippten Fenstern stellt sich kein Erfolg ein. Hier würde eine sogenannte CO-2-Ampel helfen, den Erfolg der Lüftungsmaßnahme zu überwachen, allerdings gilt es zu beachten, dass der CO-2-Gehalt der Luft kein Indikator für die Anzahl an infektiösen Aerosolen ist. Auch kann im Winter die Fensterlüftung nicht die Lösung sein, da wir darüber sehr viel Heizenergie verlieren und durch den ständigen Luftzug die Gesundheit der Kinder gefährden.
Ein paar Zahlen belegen das. Ein Luftwechsel von eins (1/h) bedeutet, dass in einer Stunde die Luft in einem Raum einmal komplett durch Frischluft getauscht wird. Für Büros oder Gaststätten wird ein Luftwechsel von 4 – 8/h empfohlen, für Krankenzimmer werden 12-15/h veranschlagt. Dies findet sich auch in Arbeitsstättenrichtlinien und der DIN 1946-4 wieder. In einem Klassenzimmer können wir davon ausgehen, dass der natürliche Luftwechsel in etwa bei 0,2 bis 0,5/h liegt. Das bedeutet, durch Leckagen in Fenstern oder im Gebäude wird bei normalen Windverhältnissen die Luft im Raum 0,2 bis 0,5 mal getauscht. Wir benötigen aber einen Luftwechsel von 4 bis 8/h. Diese Luftwechselraten sind keine Erfindung, die es seit Corona gibt. Schon Max von Pettenkofer hat bereits 1858 erkannt, dass der CO-2 Gehalt der Luft in Räumen einen Wert von 1.000 ppm nicht überschreiten sollte. Dieser Wert gilt bis heute und aus diesem kann man auf die notwendigen Luftwechselraten für Räume schließen. Als ein vom Flib (Fachverband Luftdichtheit im Bauwesen e.V.) zertifizierter Prüfer für Luftdichtheit in Gebäuden werde ich sehr häufig mit genau diesem Problem konfrontiert. Aber auch ohne CO-Messung kann man überschlagen, wann eine Lüftung notwendig ist. Ein Mensch verbraucht bei sitzender Tätigkeit in etwa 20-25 m³ Luft pro Stunde, in Schulklassen ist eher mit 30 m³ je Person zu rechnen. Das bedeutet bei einem Klassenraum mit 50m² Fläche und 3 m Höhe ein Luftvolumen von 150m³. Das würde für 5 Schüler eine Stunde lang ausreichen. Hier stoßen wir mit der Fensterlüftung definitiv an Grenzen, da ein solcher Raum alle 10 Minuten richtig gelüftet werden müsste.
Wie bereits geschildert bezieht sich dieser Luftwechsel auf die CO-2-Konzentration der Luft. Der CO-2 Gehalt korreliert allerdings nicht mit der Virenlast im Raum, so dass dieser Wert kein Indiz für eine mögliche Ansteckungsgefahr ist. Prof. Dr. Ing Martin Kriegel von der TU Berlin hat in einer Studie einen anderen Zusammenhang hergestellt. Demnach ist die gemeinsame Aufenthaltsdauer von infizierten und gesunden Personen in einem Raum zum Infektionsrisiko direkt proportional. Je länger sich also eine solche Gruppe in einem Raum aufhält, desto größer die Ansteckungsgefahr. Bei einer Schulklasse mit 24 gesunden und einem infizierten Schüler liegt die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung in einem nicht belüfteten Raum und einer Verweildauer von ca. 45 Minuten bei 10%. Nach dieser Zeit hätten sich also 2, im schlechteren Fall auch drei Mitschüler/innen angesteckt. Durch Lüften kann diese Zeit bei gleicher Wahrscheinlichkeit auf bis zu 2,4 Stunden hinausgezögert werden.
Diese Untersuchung zeigt, dass uns Lüftung alleine nicht weiterhilft. Wir müssen uns also von dem Gedanken verabschieden, Fenster auf und dann ist alles gut. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Luftfeuchtigkeit. Diese steigt in einem voll besetzten Klassenzimmer relativ rasch, was dazu führt, dass die Viren sehr lange in der Luft verbleiben. Normalerweise verdunstet die mit den Viren ausgeatmete Feuchtigkeit sehr rasch und die Viren fallen quasi zu Boden. Steigt die Luftfeuchtigkeit, dauert dieser Prozess länger. Bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von 85% stellt sich ein Gleichgewicht zwischen Verdunstung und Kondensation ein, was die Tröpfchen nur sehr langsam absinken lässt. Untersuchungen zeigen, dass hier eine Sinkgeschwindigkeit von ca. 3 mm/Sekunde anzunehmen ist. Konvektion und Luftverwirbelungen durch Bewegung außen vor gelassen dauert es demnach bei einem 1,50m großen Kind in etwa 8 Minuten, bis ein solches Aerosol zu Boden sinkt. Es wurde bereits nachgewiesen, dass eine Infektion in einem Raum bei entsprechend ungünstigen Bedingungen über 8 m möglich ist.
All diese Faktoren zeigen, wie schwierig es ist, Unterricht in den nächsten Wochen und Monaten risikoarm durchzuführen. Es wird keine einfachen Lösungen geben. Man muss mehrere Maßnahmen kombinieren. In den wenigsten Schulen sind raumlufttechnischen Anlagen (RLT) vorhanden. Sollte das der Fall sein, wäre hier zu prüfen, welche Auf- und/oder Umrüstungen möglich sind. Dies betrifft in erster Linie die Nachrüstung mit entsprechenden Filtern H14. Diese müssen so eingebaut werden, dass die gesamte abgesaugte Raumluft durch diese Filtermatten strömt und keine Möglichkeit des Vorbeiströmens gegeben ist. Natürlich muss auch geprüft werden, ob diese Anlagen überhaupt richtig dimensioniert sind und den notwendigen Luftwechsel sicherstellen können.
Ein guter Lösungsansatz ist der Einsatz von Luftreinigungsgeräten. Diese saugen die Luft an und geben sie gefiltert wieder in den Raum ab. Professor Kähler von der Universität der Bundeswehr hat den Einsatz solcher Geräte strömungstechnisch untersucht und nachgewiesen, dass mit diesen eine effektive Luftreinigung erfolgen kann. Wichtig ist auch hier der Einsatz der richtigen H14-Filter und die Auswahl qualitativ guter Geräte mit einem entsprechenden Luftvolumen bei sehr geringer Leistungsaufnahme und Geräuschemission. Bei einem Luftdurchsatz von 6/h kann hier die Anzahl infektiöser Aerosole auf einem sehr niedrigen Level gehalten werden, sollte sich eine oder mehrere infizierte Person/en in einem Raum befinden. Auch hier sind allerdings weitere flankierende Maßnahmen erforderlich.
Als die nach heutigem Stand sinnvollste böten Trennwände zwischen den Schülern einen hohen Schutz. Bei diesem Szenario müssten die Schüler keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen. Diese wäre dann nur notwendig beim Aufstehen. So wäre ein Unterricht nach jetzigem Wissensstand mit geringem Infektionsrisiko möglich. Auch die Kosten mit ca. 1.500 € je Unterrichtsraum wären überschaubar. Kleiner Wermutstropfen: die sehr langlebigen Filter sollten täglich ca. 30 Minuten einer Hitze von über 100°C ausgesetzt werden. Viele Geräte haben eine solche Reinigungsfunktion bereits eingebaut
Es stellt sich die Frage, was passiert mit den Geräten nach erfolgreicher Bekämpfung des Sars-CoV 2-Virus. Diese könnten selbstverständlich weiterbetrieben werden, um andere Krankheitserreger, Pollen und Luftverschmutzung herauszufiltern. Denn es gibt einen immensen Nachholbedarf für die Reinhaltung der Luft.
Seit heute, 09.11.2020, dürfen alle Schüler in Bayern wieder fast normal am Unterricht teilnehmen. Natürlich besteht die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, was aber in voll besetzten Klassenzimmern nachweislich keinen ausreichenden Schutz bietet. Was hier momentan an Schulen passiert, kann getrost als fahrlässig bezeichnet werden. Man nimmt Infektionen unserer Kinder billigend in Kauf. Wir propagieren auf der einen Seite, dass Abstandhalten das Wichtigste (AHA-Regel) sei, ermöglichen aber andererseits seit heute einen Schulbetrieb mit vollbesetzten Klassen. In Zeiten sehr hoher Infektionszahlen ist dieses Vorgehen der Regierung nahezu grotesk und verantwortungslos und ein Schlag ins Gesicht für Gastronomen und Veranstalter. In jedem Restaurant und bei jeder Veranstaltung wurden größere Abstände eingehalten, als seit heute an unseren Schulen. Das zweite A für Abstand aus der AHA-Regel seit heute definitiv verschwunden.
Jürgen Honold